II Abschnitt.
Von der Vollkommenheit einer Sprache überhaupt.

[49] 1 §.


Durch die Vollkommenheit einer Sprache versteht man hier nicht, eine durchgängige Uebereinstimmung aller ihrer Wörter und Redensarten, nach einerley allgemeinen Regeln, ohne alle Ausnahmen. Dieses würde die Vollkommenheit einer mit Fleiß erfundenen philosophischen Sprache seyn. Diese findet man aber nirgends. Ich rede nur von der Vollkommenheit derselben, in so weit sie in den wirklich vorhandenen Sprachen angetroffen wird: wo allerdings ein vieles nach gewissen Regeln übereinstimmet; obgleich viel anderes auch davon abweicht. Und in Ansehung dessen, kann man allen Sprachen auf dem Erdboden, einen gewissen Grad der Vollkommenheit nicht absprechen1.[49]

2 §. Will man aber die Größe dieser Vollkommenheit in gewissen Sprachen bestimmen: so hat man erst auf die Menge der Wörter und Redensarten zu sehen, die mit einander übereinstimmen. Je größer dieselbe ist, desto vollkommener ist eine Sprache. Nun giebt es aber sowohl wortarme, als wortreiche Sprachen: und ein jeder sieht, daß die letztern vollkommener seyn werden; weil man mehr Gedanken damit zu verstehen geben kann, als mit den erstern. Es ist also kein Zweifel, daß unsere deutsche Sprache, heut zu Tage, viel reicher an Worten und Redensarten ist, als sie vor zwey, drey oder mehr hundert Jahren, gewesen ist2.

3 §. Wie nun der Reichthum und Überfluß die erste Vollkommenheit einer Sprache abgeben: so ist es auch gewiß, daß die Deutlichkeit derselben die zweyte ist. Denn die Sprache ist das Mittel, wodurch man seine Gedanken, und zwar in der Absicht ausdrücket, daß sie von andern verstanden[50] werden sollen3. Da aber dieser Zweck nicht erhalten wird, außer wenn die Wörter wohl zusammengefüget, und nach gewissen leichten Regeln verbunden werden: so kömmt es, bey der Größe der Vollkommenheit, auch darauf an, ob eine Sprache viel oder wenig Regeln nöthig hat? Je weniger und allgemeiner nun dieselben sind, d.i. je weniger Ausnahmen sie haben, desto größer ist ihre Vollkommenheit: wenn nur der Zweck der Rede, nämlich die deutliche Erklärung der Gedanken dadurch erhalten wird.

4 §. Die dritte gute Eigenschaft der Sprachen ist die Kürze, oder der Nachdruck; vermöge dessen man, mit wenigen Worten, viele Gedanken entdecken kann. Hier gehen nun zwar die bekannten Sprachen sehr von einander ab; indem die eine oft mit zweyen, dreyen Worten so viel saget, als die andere mit sechsen oder mehrern. Allein, insgemein hat jede Sprache wiederum ihre eigenen kurzen Ausdrückungen, die von einer andern ebenfalls nicht so kurz und deutlich können gegeben werden. So hebt denn mehrentheils eins das andere auf. Denn wenn z.E. ein Deutscher, in einer Übersetzung aus dem Französischen, etliche Wörter mehr gebrauchet, als der Grundtext hat: so würde ein Franzos, der etwas Deutsches vollständig übersetzen wollte, auch mehr Worte dazu brauchen, als das Original hätte4.

5 §. Man könnte also fast sagen, daß alle Sprachen, die nur durch gelehrte Federn ausgearbeitet worden, gleich vollkommen[51] wären: wenn es nicht manchen an dem Überflusse der Wörter mangelte, alle ihre Begriffe auszudrücken. Dieses sieht man am meisten in Wissenschaften, bey den Kunstwörtern: denn da müssen gewisse Sprachen alles aus andern borgen; wie die Lateiner z.E. von den Griechen; die Franzosen und Engländer aber von den Lateinern und Griechen. In Ansehung dessen nun, ist unsere Sprache viel reicher; und gewissermaßen der griechischen zu vergleichen: denn wir können fast alle Kunstwörter mit ursprünglichen deutschen Benennungen ausdrücken.

6 §. Man pflegt auch noch andere Eigenschaften zur Vollkommenheit und Schönheit einer Sprache zu erfordern, die aber so unstreitig nicht sind. Man redet z.E. von der Lieblichkeit und Anmuth gewisser, imgleichen von der Rauhigkeit anderer Mundarten. Weil aber der Begriff, oder die Empfindung dieser Lieblichkeit, nicht bey allen Menschen einerley ist, und aus der Vernunft schwerlich zu erweisen steht: so kann man nichts gewisses davon ausmachen. Es kömmt dabey alles auf die gelinde und härtere Aussprache, und auf die Empfindung und Gewohnheit der Ohren an. Einem Deutschen scheint der Franzos durch die Nase zu reden; ein Engländer aber durch die Zähne zu zischeln, oder zu lispeln: und das klingt uns unangenehm, so lange wir es noch nicht gewohnt sind. Ein Franzos aber beschuldiget die Deutschen, daß sie aus dem Halse, oder aus der Gurgel, sprechen: welches vielleicht von den nächsten Nachbarn der Franzosen, den Schweizern, wahr seyn kann; aber bey uns, wenigstens in den guten Provinzen von Deutschland, nicht geschieht, und selbst von den Franzosen, wenn sie uns hören, nicht empfunden wird.

7 §. Indessen kann man es doch wohl einräumen, daß die verschiedenen Mundarten einer Sprache einen unterschiedenen Wohlklang haben. In der einen Landschaft verbeißt man zu viele Selbstlauter, und zieht die Wörter zu kurz zusammen, daß sie also, von der Menge aneinanderstoßender[52] Mitlauter, hart und rauh werden5. In einer andern machet man fast aus allen Selbstlautern Doppellaute; und auch dieses machet den Klang der Wörter sehr fürchterlich6. Manche verdoppeln die Mitlauter, oder sprechen die gelinden ohne Noth zu scharf aus, verkürzen auch wohl dadurch die langen Selbstlauter7. Und durch alle diese Fehler wird eine Sprache unangenehm. Die Mundarten derer Landschaften, die zunächst an Wälschland und Frankreich stoßen, haben auf diese Art, die deutsche Sprache bey unsern Nachbarn in Übeln Ruf gebracht.

8 §. Wenn man fraget, ob unsere Sprache, seit ein Paar hundert Jahren, an Vollkommenheit zugenommen habe, so giebt es freylich Grübler, die solches läugnen, und uns wohl gar bereden wollen: daß man zur Zeit Kaiser Maximilians des I und Karls des V, ein nachdrücklicheres und kräftigeres Deutsch geredet und geschrieben habe, als itzo. Diese glauben also, daß unsere Sprache sich verschlimmert habe; indem sie, wie sie reden, viel schwatzhafter, und dabey gezwungener geworden, als sie vormals gewesen. Sie bemerken auch noch, daß man heute zu Tage eine Menge ausländischer Wörter und Redensarten ins Deutsche menget, die ihm gar nicht wohl stehen; und die kerndeutschen Ausdrückungen der[53] Alten dafür fahren läßt: woraus denn nothwendig eine Verderbniß der Sprache hätte entstehen müssen8.

9 §. Was aber die erste Ursache betrifft: so ist es zwar gewiß, daß die alte Rauhigkeit unserer Schriftsteller vor Opitzen, etwas nachdrücklicher klingt; aber an Lieblichkeit und Wohlklange, muß sie der heutigen Schreibart ein vieles nachgeben. Ihr Ausdruck ward oft, aus Mangel verschiedener Redensarten, und bestimmterer Wortfügungen, dunkel und zweydeutig: heute zu Tage aber, kann man diese Fehler, durch die Mannichfaltigkeit der Ausdrückungen, und eine bestimmtere Ordnung der Wörter, glücklich vermeiden. Doch billiget man auch die gar zu gedrechselten und gezwungenen Künsteleyen gewisser Neuern freylich nicht; die oft mit vielen Umschweifen wenig sagen, und gewiß in deutschen Ohren sehr undeutsch klingen9.[54]

10 §. Was ferner die Kürze betrifft, so kann man sich auch itzo noch eben so kurz zu verstehen geben, als vormals. Es kömmt alles auf die Fassung der Gedanken an: diese ist aber nicht jedermanns Werk. Opitz, Müller, Lassenius u.a. Neuere, haben sehr lakonisch schreiben können: sie haben aber auch die Perioden besser abgetheilet, als die Alten. Was endlich die ausländischen Wortfügungen, und fremden Redensarten anlanget, deren sich einige schlechte Übersetzer bedienet haben: so billiget man dieselben gar nicht; und sie müssen nicht sowohl der Sprache, als vielmehr nachläßigen Schriftstellern, zur Last geleget werden. Man darf also die in unserer Sprache geschehenen Veränderungen gar nicht bedauren: zumal, da wir nunmehr in derselben, in allen Künsten und Wissenschaften, eine Menge wohlgeschriebener Bücher haben, woran es den Alten fehlete; und wodurch der Reichthum unserer Muttersprache um die Hälfte gewachsen ist10.

11 §. Aus dieser Ursache nun wäre es zu wünschen, daß unsere Sprache bey der itzigen Art, sie zu reden und zu schreiben, erhalten werden könnte: weil sie, allem Ansehen nach, denjenigen Grad der Vollkommenheit erreichet zu haben scheint, worinnen sie zu allen Vorfällen und Absichten einer[55] ausgearbeiteten und artigen Sprache, geschickt und bequem ist. Die Regierung zweener allerdurchlauchtigsten Auguste in Sachsen, verdienet billig das goldne Alter derselben genennet zu werden: wenn man gleich schon die erste merkliche Verbesserung derselben, von Opitzens und Flemmings Zeiten anheben muß. Die Festsetzung der heutigen hochdeutschen Mundart aber kann nicht anders, als durch eine gute Sprachlehre geschehen; die den itzigen besten Gebrauch im Reden, in Regeln verwandelt, und den Nachkommen anpreist11.

12 §. Indessen muß niemand denken, als wenn man in dieser kurzen Sprachlehre Willens wäre, von allen und jeden Redensarten unserer Sprache Grund anzugeben. Eigentlich ist dieses zwar das Werk der Sprachlehrer: und in dieser weitläuftigen Bedeutung haben die Alten das Wort Grammaticus genommen12. Allein, das würde eine unendliche[56] Arbeit werden, die noch in keiner Sprache von jemanden vollendet worden ist. Man muß also von einer Sprachlehre nur die allgemeinsten Regeln, und die merkwürdigsten Ausnahmen der Wörter und Redensarten suchen: wodurch Anfänger in den Stand gesetzet werden, im Reden und Schreiben fortzukommen; ohne sich durch die bösen Exempel derer, die ihre Sprache verderben, verfuhren zu lassen. Das Übrige müssen sie hernach aus der Übung lernen; oder auch aus besondern kritischen und grammatischen Anmerkungen ersetzen, die von guten Sprachkennern geschrieben worden. Sie werden aber auch den Werth von diesen besser beurtheilen können, wenn sie zuvor die Hauptregeln der Sprache recht gefasset haben.

Fußnoten

1 Die Franzosen haben seit einiger Zeit zu behaupten gesuchet, daß ihre Sprache vollkommener sey, als alle alte und neuere Sprachen. Wie viel Vorurtheile aber dabey mit unterlaufen, hat ihnen der gelehrte und unparteyische P. Büffier gewiesen, S. der kritischen Beyträge VIII B.a.d. 420 u.f.S. Sie pralen sonderlich damit, daß ihre Art zu reden, der natürlichen Ordnung der Gedanken folge, welche von andern Sprachen vernachläßiget würde. Allein, sie irren ohne Zweifel. Denn wenn es gleich in etlichen Redensarten zutrifft, daß sie dieser Ordnung folgen; wie es denn in allen Sprachen geschieht: so weichen sie doch in vielen davon sehr merklich ab. Hernach bildet sich jedes Volk ein, seine Art zu denken sey die natürlichste. Soll aber das eine Vollkommenheit seyn, wie einige glauben, daß die französische sehr kurze Abschnitte ihrer Rede, nach und nach hintereinander anfüget; ohne sie durch einander zu mischen: so hat dieses 1) nur im gemeinen Umgange, nicht aber im zierlichen, oratorischen und poetischen Schwünge Statt. 2) Hatte unsere deutsche Sprache vor 200 und mehr Jahren, diese Vollkommenheit auch, wie man aus der Bibel sieht; die wir aber, des Wohlklanges wegen, haben fahren lassen. Z.E. im 96 Ps. d. 13 v: Denn er kömmt zu richten, das Erdreich; er wird den Erdboden richten, mit Gerechtigkeit.


2 Was besitzt sie nicht für einen Reichthum von Wörtern in allen Handwerkern und Künsten, im Jagd- und Forstwesen, im Bergbaue, im Weinbaue, und in der Schiffahrt: da sich der ganze Norden unserer Wörter bedienet; ja auf der Ost- und Nordsee eine plattdeutsche Sprache herrschet, die von Holländern, Engländern, Schotten, Norwegern, Dänen, Schweden und Russen verstanden wird. Was für einen Reichthum besitzen wir nicht in den alten Rechten, in der Kräuterkunde, im Handel und in der Gottesgelahrheit? Ja, welch einen Überfluß von Ausdrückungen haben wir nicht in der Weltweisheit und Mathematik, wenn wir nur theils die alten, theils die neuesten Bücher davon ansehen wollen; seit dem die gelehrtesten Männer aufgehöret haben, das vormalige Gemeng zu lieben. Es ist aber auch wahr, daß wir viel altfränkische Wörter voriger Jahrhunderte haben fahren lassen, die wir in alten Schriften finden.


3 Man muß aber auch nur alle Wörter seiner Sprache kennen, und in seiner Gewalt haben; um sich deutlich auszudrücken. Daran fehlet es nun vielen, die das der Sprache Schuld geben, was sie ihrer seichten Kenntniß derselben zuschreiben sollten.


4 Ein Deutscher saget, mit einem Worte, stehen, reiten, liegen, fahren, schiffen. Der Franzos brauchet dazu zwey bis drey, ÊTRE DEBOUT, MONTER À CHEVAL, ÊTRE COUCHÉ, ALLER EN CAROSSE, ALLER EN BATEAU, oder FAIRE VOILE, u.d.m.


5 Z.E. in gewissen Provinzen spricht man nicht gewiß, sondern gwiß, ja wohl gar kwiß; nicht Geduld, sondern Gduld, oder gar Kduld; anstatt zu hart, zu groß; z'hart, z'groß; u.d.m. Ist das nun nicht hart?


6 Z.E. die Bauern sprechen anstatt fahren, foahren, anstatt leben, läben, anstatt tragen, troan. In Schwaben, Bayern, Salzburg und weiter nach der Gränze, spricht man für Licht, Liecht, für Fuß, Fueß, für Mutter, Muetter, für Kaiser, Koaser, für Bein, Boan.


7 Z.E. Einige sagen für Haber, Habber, für Boden, Podden, für Kohlen, Kollen, für haben, hann; wie die Franken für Vater, Vatter, für Bauer, Pauer sagen. Die Schlesier sagen für Gut, Blut, Gemüth, hüten, Priester; Gutt, Blutt, Gemütt, hütten, Prister etc.


8 Mich dünket, wer dieses glaubet, der muß auch behaupten: daß Ennius, Accius und Pacuvius besser Latein geschrieben, als Cicero, Cäsar und Virgil: oder daß in Frankreich Marot, Ronsard, Rabelais und Montaigne besser Französisch geschrieben, als Malherbe, Corneille, St. Evremond und Vaugelas. Es ist wohl wahr, daß einige Gelehrten, auch die ältesten Scribenten ihrer Sprachen mit einer Art des Vergnügens lesen: und ich gestehe es selbst, daß ich die Schriftsteller des XVI Jahrhunderts, ja noch ältere, auch die man bloß in Handschriften besitzt, mit Lust lese. Allein, deswegen kann man doch nicht behaupten, daß deren Schreibart überhaupt besser sey. Ihre Fehler fallen nur gar zu sehr in die Augen, wenn man sie gegen die itzige hält.


9 Dahin gehören die gezwungenen participialischen Redensarten einiger Neuern, die sie, wider die Gewohnheit unserer Sprache, den Engländern und Franzosen nachäffen: zumal, wenn sie die Sätze damit anheben. Schlechte Übersetzer, die ihre eigene Sprache nicht können, und also insgemein aus dem Französischen oder Engländischen ihre Schriften übel verdeutschen, fallen noch in wunderlichere Fehler; die hernach kein deutscher Leser verstehen kann, wenn er nicht gewohnet ist, französisch oder brittisch zu reden, oder zu denken.


10 Man will damit nicht sagen, daß man nicht schon im XV und XVIten Jahrhunderte, fast in allen Arten der Gelehrsamkeit, deutsche Bücher geschrieben hätte. Nein, wer sich auf die Kenntniß unserer Alterthümer leget, oder auch nur des Draudius Verzeichnisse davon nachschlägt, der muß erstaunen, wie groß ihr Fleiß schon dazumal gewesen sey. Ja, man bemerket auch, wie eifrig sie sich beflissen, alles mit eigentlichen deutschen Wörtern zu geben; auch wo die Neuern sich ohne Noth ausländischer Kunstwörter bedienen: als z.E. in Kriegessachen, in der Baukunst, Mathematik, u.d.m. Diese alten Bücher muß man eben darum fleißig lesen, damit man alle diese Kernwörter sich bekannt mache, und wieder in Schwang bringe: wie Virgil vormals EX STERQUILINIO ENNII das Gold sammlete. Indessen ist es doch nicht zu läugnen, daß man im vorigen, und sonderlich im itzigen Jahrhunderte, noch viel weiter darinn gekommen ist.


11 Der Wunsch, den ich in diesem Absatze gethan habe, ist mit von einem übelgesinnten Halbgelehrten so übel ausgeleget worden; als ob ich gewünschet hatte, daß allein meine eigene Schreibart das ewige Muster im Deutschen bleiben sollte. Wie sehr ich aber davon entfernet sey, brauche ich nicht erst viel zu zeigen. Die Sache selbst redet. Ich habe auch keine besondere Schreibart, die mich von andern guten Schriftstellern unsers Jahrhunderts, die ihre Sprache mit Fleiß getrieben haben, unterschiede. Daß es aber nicht ungereimt sey, die Erfüllung meines Wunsches zu hoffen, zeiget das Beyspiel der lateinischen, wälschen und französischen Sprachen. Die guten Schriftsteller setzen die Sprache eines Volkes fest, ungeachtet sich in dem Munde des Volkes die Sprachen von Zeit zu Zeit ändern. Cicero blieb auch um des Plinius, und so gar um des Lactantius und Augustins Zeiten, das Muster aller guten Scribenten, und das Ziel, wornach sie strebeten. Petrarcha ist nach 400 Jahren noch das Muster aller guten Dichter in Wälschland; obgleich seine Sprache in dem Munde der heutigen Italiener sich sehr geändert hat. Und in Frankreich werden die Schriftsteller von Ludwigs des XIV Zeiten allemal die Regel ihrer Sprache bleiben: obgleich einige neuere Schriftsteller schon auf wunderliche Abwege zu fallen scheinen; die aber von guten Kunstrichtern verworfen werden.


12 S. den Vossius DE PHILOLOGIA, p. 24, §. 4, und DE ARTE GRAMMATICA, L. 1, C. 2, 3, 4, 5, 6, wo er so gar die ganze Kritik zu einem Theile der Grammatik machet. Ich werde mich aber hier, meiner Schreibart wegen, die gar nicht geziert oder gekünstelt ist, mit dem Cicero entschuldigen, der L. III DE FINIB. schreibt: ISTIUSMODI RES DICERE OR NATE VELLE, PUERILE EST; PLANE AUTEM & PERSPICUE EXPEDIRE POSSE, DOCTI & INTELLIGENTIS VIRI. Daher weis ich nicht, was jemand meiner Sprachlehre für ein Lob beygeleget: daß sie nämlich in einer neuen Schreibart geschrieben sey. Ich mag kein Neuling seyn, sondern mache mir eine Ehre daraus, wie ein Canitz, Besser, Neukirch, Pietsch, und Günther geschrieben zu haben. Dieß sind meine classischen Schriftsteller. Ich würde noch einen Grafen von Bünau nennen, wenn ich es ohne den Verdacht der Schmäucheley thun könnte, da er noch lebetA1.


A1 Nachdem nunmehr drey große deutsche Schriftsteller gestorben sind, die Deutschland Ehre gemacht haben, nämlich Mosheim, Mascau, und Bünau: so kann ich auch diese noch zur Zahl unserer großen classischen Schriftsteller hinzusetzen. Ich melde dieses um desto lieber, da der erste ein Niedersachs, der zweyte ein Preuß, und der dritte ein Meißner gewesen. Diese drey Länder haben die nächsten Ansprüche auf die Schönheit der hochdeutschen Sprache; und durch obige Scribenten auch gleichen Theil daran. Möchten sie nur auch lange bey der Mund- und Schreibart dieser großen Muster bleiben, und sich in keine Neuerungen vergaffen! Ich könnte auch einen Schlesier hinzusetzen, der ihnen sehr nahe kömmt. Allein, er lebet noch; und ich fliehe den Verdacht der Schmäucheley.[57]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 49-58.
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